Die sonnige Insel im Bodensee ist ein Sehnsuchtsziel für Reisende. Und Herzenssache für die Menschen, die hier am und mit dem Wasser leben
Mit einem breiten Lächeln im Gesicht fährt Stefanie Wehrle auf ihrem Fahrrad durchs Gewächshaus. Jeden Tag macht sie ordentlich Strecke – mal muss sie auf ihre Äcker fahren, mal zu einem entfernten Gewächshaus, mal nur um die Ecke. Rechts und links von ihr ranken Tomatenpflanzen zum Sonnenlicht. Sobald Wehrle das Rad abstellt und sich den Gemüsereihen nähert, greifen ihre Hände automatisch in die Pflanzen, fühlen Früchte und entfernen Blätter.
Die Reichenauerin ist Gemüsegärtnerin und das gefühlt eigentlich schon immer. Denn der Betrieb gehört seit drei Generationen ihrer Familie, und alle packen mit an. „Klar, als Jugendliche fand ich es nicht so toll, morgens um sechs Uhr aufzustehen, um zu helfen. Die Arbeit meiner Eltern hat mich dennoch geprägt, und ich bin sehr glücklich, den Hof übernommen zu haben“, erzählt sie. „Meine Produkte liefere ich an die Genossenschaft. Aber auf der Insel gibt es auch kleine Stände, an denen man mein Gemüse kaufen kann.“ Als ein Brummen ertönt, leistet die Bewässerungsanlage am Fuß der Pflanzen ein paar Sekunden lang ihren Beitrag. Sie ist Teil eines riesigen Bewässerungssystems, das die Insel schon seit den 1950er-Jahren durchzieht und Gewächshäuser sowie Felder mit Wasser aus dem See versorgt. „Ohne den Bodensee würde es uns Gemüsegärtnern hier nicht so gut gehen“, sagt Wehrle. „Und mir als Mensch auch nicht“, fügt sie hinzu. Denn der See fasziniert sie täglich aufs Neue: „Da, wo andere Urlaub machen, sind wir jeden Tag.“
Welterbe und Naturschutz
Bis zu einer Million Tagesgäste im Jahr zählt die Insel im westlichen Bodensee – und viele von ihnen radeln an Wehrles Gewächshäusern vorbei. Über die grüne, gemüsereiche Insel geht’s zu den drei mittelalterlichen Kirchen, die zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. Zur Werkgalerie Hochwart. Oder zur Abkühlung ins Strandbad. Wer nicht mit dem Schiff zur Reichenau fährt, der kommt über den von einer Allee gesäumten Damm. Um ihn herum und am Festland liegt das Naturschutzgebiet Wollmatinger Ried. Lisa Maier ist dort als Ornithologin beim NABU-Bodenseezentrum für die Erfassung der Vogelwelt zuständig. Wenn sie nicht gerade Gäste durch das 760 Hektar große Schutzgebiet führt, findet man sie oft auf der Aussichtsplattform der Ruine Schopflen.
Dort steht sie konzentriert über ihrem Spektiv – einem Vergrößerungsglas mit nur einem Rohr – und zählt Wasservögel im Ermatinger Becken. Bis zu 10.000 Exemplare halten sich im Sommer in den geschützten Flachwasserzonen auf: dunkle Blesshühner, weiße Höckerschwäne und zwischendrin Stock-, Schnatter- und Kolbenenten. Die junge Frau wirkt sehr geerdet und zufrieden inmitten der Natur. Zu Hause, könnte man sagen. Ein Gefühl, das der Bodensee vielen schenkt. Sie ist für den Job hergekommen – und kann sich nicht vorstellen, von hier wieder wegzugehen.
Ein besonderer Ort
Auch Gästeführer Uwe Anker ist mit der Insel tief verwurzelt. „Ich bin gerne auf Reisen“, erzählt er, „es ist wichtig, Menschen anderer Kulturen kennenzulernen. Aber sobald ich bei der Rückkehr den Bodensee zum ersten Mal sehe, bin ich zu Hause.“ Am liebsten zeigt der gläubige Katholik Gästen die drei Kirchen auf der Insel und ihre wertvollen Schätze. Er erzählt dabei gerne von der Bedeutung des Glaubens für die Reichenau und ihre Menschen. „Ich interessiere mich für Geschichte, ich liebe die Insel und ich rede gerne“, meint er, „alles drei wichtige Voraussetzungen für meinen Job.“ Zu erzählen gibt es viel, denn schon vor 1.300 Jahren wurde hier das erste Benediktinerkloster auf deutschem Boden gebaut. Seit damals sei die Insel ein besonderer, ein spiritueller Ort, sagt Uwe Anker weiter. Deshalb freut er sich nun aufs große Jubiläum. „Das wird bestimmt ein besonderes, ereignisreiches Jahr. Denn wir hier auf der Reichenau, wir feiern auch richtig gerne. Und ich finde es schön, wenn wir Gästen aus aller Welt zeigen dürfen, dass der Glaube bei uns lebt.“