Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Was jetzt daraus folgt, lesen Sie hier in den Fragen und Antworten.
Wie bewertet die Bundesregierung das Urteil des Bundesverfassungsgerichts?
Alle Beteiligten sind sich einig, dass sie verantwortungsvoll mit dem Urteil umgehen müssen und dabei die gemeinsamen Ziele nicht aus den Augen verlieren dürfen.
Bundeskanzler Scholz betonte in einem Video-Statement , dass das Verfassungsgericht festgehalten habe, dass Hilfen in besonderen Notlagen weiterhin möglich seien. Also beispielsweise Hilfen wie während der Corona-Pandemie, Hilfen für die Opfer des verheerenden Hochwassers im Ahrtal, oder Hilfen, um die stark gestiegenen Preise für Strom und Gas zu dämpfen.
Laut Scholz gibt es aber jetzt klare Vorgaben, die zu beachten sind: Der zentrale Punkt sei, dass etwaige Kredite nun jedes Jahr vom Bundestag beschlossen werden müssen. Das Urteil habe also konkrete Folgen für den Bund und auch für viele Länder – in diesem Jahr wie in den kommenden Jahren.
Damit die Hilfen in diesem Jahr gesichert seien, „werden wir dem Bundestag für das laufende Jahr vorschlagen, die für solche Fälle im Grundgesetz ermöglichte Ausnahme von der Schuldenbremse erneut zu beschließen“, so der Kanzler. Er kündigte an, am kommenden Dienstag (28. November) im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung abzugeben.
Der Bundeskanzler hatte schon nach der Urteilsverkündung deutlich gesagt, worauf es jetzt ankommt. „Die Dinge werden jetzt sehr sorgfältig diskutiert“, so Scholz. „Alles andere wäre eine Missachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb geht hier Sorgfalt vor allem anderen.“
Wie war die Ausgangslage?
Ende 2021 hatten Wirtschaft und Gesellschaft massiv mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Mit Zukunftsinvestitionen wollte die Bundesregierung wichtige Impulse setzen, um gut aus der Krise zu finden. Viele Investitionen konnten jedoch pandemiebedingt nicht oder nicht vollständig getätigt werden.
Die nicht verwendeten Mittel aus Kreditermächtigungen – insgesamt 60 Milliarden Euro – wurden mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 dem Energie- und Klimafonds, dem späteren Klima- und Transformationsfonds (KTF), zugewiesen. Sie waren für Maßnahmen vorgesehen, die dabei helfen sollten, die durch Corona entstandene Notsituation abzufedern und zu überwinden. Die Mittel wurden Anfang 2022 für das Haushaltsjahr 2021 und die folgenden Haushaltsjahre bereitgestellt. Dies hat das Gericht für verfassungswidrig erklärt.
Hat die Bundesregierung Warnungen im Vorfeld ignoriert?
Der Bundeskanzler hat in der Regierungsbefragung im Deutschen Bundestag begründet, wie die Bundesregierung seinerzeit ihre Entscheidung getroffen hat. „Wir haben sorgfältig beraten, was wir tun können“, sagte Scholz. „Wir haben uns um eine verfassungsgemäße Lösung bemüht und die auch miteinander diskutiert: schon während der Beratungen zur Regierungsbildung und dann natürlich auch im Zusammenhang mit der Aufstellung des entsprechenden Nachtragshaushaltes. Es sind viele rechtliche Fragen erörtert worden, und alle waren bis jetzt der Überzeugung, dass das auch ein ordentliches, korrektes Vorgehen ist. Ich finde, es ist gut, dass wir eine Verfassungsordnung haben, in der das Bundesverfassungsgericht spricht, und ich bin auch sehr stolz darauf, dass wir die Urteile auch dann beachten, wenn wir vorher anderer Meinung waren.“
Was passiert jetzt mit dem Bundeshaushalt 2024?
Der Haushaltsausschuss hat sich mit Sachverständigen zu den Auswirkungen des Urteils und zum weiteren Vorgehen besprochen. In der Folge haben die Abgeordneten entschieden, die weiteren Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 vorerst auszusetzen.
Die haushaltspolitischen Sprecher der Koalitionsfraktionen teilten mit, man wolle „mit Sorgfalt“ auf die „große Herausforderung“ durch das Urteil reagieren „und einen Haushalt aufstellen, der alle Urteilsargumente und gleichzeitig das Gebot des Grundgesetzes nach einem Haushaltsabschluss noch dieses Jahr berücksichtigt“.
Bundeskanzler Scholz sagt in einem Video-Statement: „Den Haushalt für das nächste Jahr werden wir im Lichte des Urteils genau überarbeiten – zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt“. Die klaren Ziele der Bundesregierung „sind und bleiben richtig“, so Scholz. „Deshalb schieben wir die nötigen Entscheidungen nicht auf die lange Bank, sondern arbeiten schon in diesem Jahr daran, dass die Bundesregierung und der Bundestag alle Beschlüsse, die für den Haushalt 2024 erforderlich sind, schnell treffen.“
Das Bundesfinanzministerium hat eine Haushaltssperre verhängt. Was bedeutet das konkret?
Um eine finanzielle Vorbelastung für die nächsten Haushaltsjahre zu vermeiden, hat das Bundesministerium der Finanzen vorerst die Möglichkeit gestoppt, neue finanzielle Verpflichtungen für die kommenden Jahre einzugehen.
Diese sogenannten Verpflichtungsermächtigungen werden benötigt, um beispielsweise mehrjährige Verträge mit externen Projektpartnern oder mehrjährige Mietverträge für Gebäude abzuschließen. Alle bereits vor dem 20. November 2023 eingegangenen finanziellen Verpflichtungen des Bundes sind davon nicht betroffen. Auf Antrag kann in Einzelfällen von diesem Stopp – mit Zustimmung des Bundesfinanzministeriums – abgewichen werden.
Diese Maßnahme dient auch dazu, die finanzielle Lage des Bundeshaushalts sorgfältig und verlässlich prüfen zu können.
Sind davon alle Ausgaben betroffen?
Völlig unberührt von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind Ausgaben oder Leistungen, die aufgrund eines Gesetzes stattfinden, also zum Beispiel Sozialleistungen.
All diese gesetzlichen Leistungen wie etwa Elterngeld, Wohngeld, Kindergeld oder Grundsicherung bei Erwerbsminderung sind vom Stopp der neuen Verpflichtungsermächtigungen nicht betroffen. Auch Zahlungen der Sozialversicherungen (also z.B. Rente oder Krankengeld) sind davon unberührt. Sie werden weiterhin fristgerecht und in voller Höhe ausgezahlt.
Wie wirkt sich das Urteil auf die Sondervermögen aus?
Das Urteil hat weitreichende Auswirkungen auf den Klima- und Transformationsfonds (KTF) und den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Um weitere Belastungen des Haushalts sowie Vorbelastungen für künftige Haushaltsjahre zu vermeiden, sind derzeit alle noch nicht in Anspruch genommenen Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen von KTF und WSF gesperrt – mit Ausnahme der Förderung von Maßnahmen der Energieeffizienz und Erneuerbarer Energien im Gebäudebereich.
Die bereits abgeflossenen Mittel zur Krisenbewältigung – unter anderem für die Strom- und Gaspreisbremsen – sollen mit dem Nachtragshaushalt 2023 nun auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt werden. Dazu soll das Volumen des KTF-Wirtschaftsplans an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts angepasst werden. Geplant ist außerdem, den Umfang des WSF-Wirtschaftsplans ausgehend von den tatsächlich schon erfolgten und den in 2023 noch zu erwartenden Abflüssen neu zu justieren und deutlich zu verringern.
Ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich das Urteil auch auf andere Sondervermögen des Bundes auswirkt, wird derzeit geprüft. Auch die Länder schauen sich sehr genau an, welche Folgen das Urteil für ihre Haushalte hat.
Wozu gibt es überhaupt Sondervermögen?
Sondervermögen sind neben dem Kernhaushalt ein wichtiges Instrument zur Erfüllung einzelner Aufgaben des Bundes. Sie haben in vielerlei Hinsicht Vorteile: Sie erhöhen die Transparenz, schaffen Planungssicherheit und sorgen dafür, dass Mittel über längere Zeiträume verfügbar sind. Die Möglichkeit zur Schaffung von Sondervermögen ist im Grundgesetz explizit vorgesehen. Sie müssen in jedem Einzelfall gerechtfertigt und besonders begründet sein.
Aktuell gibt es noch 29 Sondervermögen. Die Bundesregierung überprüft fortlaufend, ob die ursprünglich festgelegten Aufgaben auch weiterhin aus Sondervermögen oder künftig aus dem Kernhaushalt finanziert werden sollen.
Was ist die Schuldenbremse?
Die Schuldenbremse sieht vor, dass Bund und Ländern ihre Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten ausgleichen müssen. Diese Regelung ist in Artikel 109 des Grundgesetzes verankert.
Einen kleinen Verschuldungsspielraum räumt allerdings Artikel 115 des Grundgesetzes ein: Dort ist festgelegt, dass der Bund jährlich zusätzliche Schulden in Höhe von maximal 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung aufnehmen darf. Bei außergewöhnlichen Notsituationen – wie Naturkatastrophen oder andere Notsituationen – kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden. Dann muss der Bund allerdings einen Plan zum Abzahlen dieser Mehrausgaben vorlegen.