Die Herausforderungen unserer Zeit erfordern eine starke Sozialdemokratie, insbesondere in Krisenzeiten. Kommunalpolitiker erleben tagtäglich, wie politische Entscheidungen in der Praxis wirken, und setzen sich mit großem Engagement für pragmatische Lösungen vor Ort ein. Doch ihr Ruf nach Erneuerung und stärkerer Berücksichtigung kommunaler Realitäten in der Parteispitze bleibt weitgehend ungehört.
Ein zentrales Problem ist, dass die gegenwärtige politische Ausrichtung nicht ausreichend die Rahmenbedingungen schat, damit vor Ort tatsächlich nachhaltige Lösungen umgesetzt werden können. Kommunen stehen zunehmend unter finanziellem und organisatorischem Druck, während politische Vorgaben oft realitätsfern sind und die Handlungsspielräume einschränken. Die SPD verliert an Zustimmung, weil es ihr nicht gelingt, glaubwürdige Antworten auf diese Herausforderungen zu geben und die kommunale Ebene stärker in die strategische Neuausrichtung einzubeziehen.
Statt notwendiger Selbstkritik und Kurskorrekturen zeigt die Parteiführung bislang zu wenig Bereitschaft zur Reflexion. Eine echte Erneuerung erfordert eine ehrliche Analyse und daraus folgende Konsequenzen – sowohl inhaltlich als auch personell. Nur durch eine stärkere Einbindung der kommunalen Ebene kann die SPD wieder Vertrauen gewinnen, tragfähige Lösungen entwickeln und eine zukunftsfähige Sozialdemokratie gestalten, die unsere Gesellschaft spürbar weiterbringt.
Deutschland steht vor tiefgreifenden Veränderungen, die mutige und lösungsorientierte Politik erfordern, sicher aber auch unbequeme Wahrheiten und das Hinterfragen grundsätzlicher Überzeugungen sowie parteipolitischer Glaubenssätze. Diese Veränderungen aktiv anzugehen ist in den nächsten Jahren die Aufgabe der politischen Mitte, andernfalls sehen wir die Gefahr, dass radikale Kräfte diese Veränderungen in einer Form angehen, die unserer Gesellschaft langfristig schaden.
Unser Ziel muss es sein, Wohlstand, gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Stabilität für kommende Generationen zu sichern. Dafür braucht es eine Sozialdemokratie, die nah an den Menschen ist und das Potenzial vor Ort nutzt.
Kommunen sind die Orte, an denen Politik wirkt. Hier werden Entscheidungen spürbar, hier entstehen Innovationen, und hier zeigt sich, was funktioniert – oder eben nicht. Deshalb ist es wichtig, dass sozialdemokratische Politik nicht abstrakte Konzepte entwirft, sondern aus der Praxis heraus gestaltet wird.
Wir aus der Kommunalpolitik wissen: Wer Wandel erfolgreich gestalten will, braucht einen Staat, der nicht lähmt, sondern ermöglicht. Eine Wirtschaft, die Chancen schat. Eine Gesellschaft, die Verantwortung übernimmt. Eine Politik, die Vertrauen verdient.
Ehrliche Kommunikation und klare Prioritäten
Politik kann nicht alles auf einmal lösen – aber sie kann ehrlich sagen, welche Prioritäten sie setzt.
- Vertrauen durch Klarheit: Versprechen, die nicht erfüllbar sind, schaden der Glaubwürdigkeit. Stattdessen müssen wir oen und ehrlich über Herausforderungen sprechen. Klarheit und Glaubwürdigkeit entstehen durch Ehrlichkeit.
- Das Versprechen “Von allem mehr” oder ein “Weiter so” können in der momentanen Zeit nicht mehr glaubwürdig vermittelt werden
- Weniger Standards bedeuten auch Verantwortung: Reduzierte Vorschriften bringen mehr Freiheiten, aber auch mehr Eigenverantwortung.
Mehr Freiheit für Kommunen: Bürokratie abbauen, Vertrauen stärken
Gute Lösungen entstehen dort, wo die Menschen am besten wissen, was sie brauchen: vor Ort. Deshalb muss Bürokratie nicht zentralisiert, sondern reduziert werden, um Innovation und Eigenverantwortung zu stärken. Unser Staat braucht ein Update, reformieren wir ihn.
- Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen: Verwaltungsprozesse müssen gestrat und der Kontrollaufwand für Kommunen spürbar reduziert werden.
- Weg von “Goldrandlösungen” und lähmenden Vorgaben, dies benötigt auch die Bereitschaft (Lebens-)Risiken zu akzeptieren: Bau-, Umwelt- und Planungsrecht und vieleweitere rechtliche Grundlagen müssen vereinfacht werden (z. B. Brandschutz, Natur- und Artenschutz, Datenschutz, Haftungsfragen)
- Digitale Verwaltung, die funktioniert: Einheitliche Schnittstellen und marktorientierte IT- Lösungen statt überregulierter, teurer Eigenentwicklungen.
- Effizienz statt Bürokratieaufblähung: Übergeordnete staatliche Ebenen sollten dort Personal abbauen, wo sie nur kontrollieren statt zu gestalten.
Investieren in die Zukunft: Kommunen finanziell handlungsfähig machen
Damit Städte und Gemeinden ihren Aufgaben gerecht werden können, brauchen sie verlässliche finanzielle Grundlagen – nicht befristete Förderprogramme, die vor allem Bürokratie schaen.
- Schuldenbremse klug reformieren: Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz müssen nachhaltig möglich sein.
- Wer bestellt, bezahlt: Gesetzliche Vorgaben dürfen nicht zu Lasten der Kommunen gehen, ohne dass sie dauerhaft finanziert werden.
- Faire Lastenverteilung: Eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer hilft, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Besteuern wir in Zukunft weniger die Arbeit der Menschen, sondern die größeren Vermögen. Denn wir wollen Leistung belohnen.
Wohnraum schaffen: Schnell, innovativ, nachhaltig
Bezahlbares Wohnen ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir brauchen Lösungen, die schnelles und nachhaltiges Bauen ermöglichen.
- Kommunale Wohnungsbaugesellschaften stärken: Mehr finanzielle Mittel, Vorkaufsrechte ausbauen, langfristige Sozialwohnungsbindungen sichern und mehr Wohnraum in kommunalem und genossenschaftlichem Besitz bringen
- Bauverfahren beschleunigen: Modulbau, serielle Fertigung und schlankere Bauvorschriften ermöglichen. Hinterfragen, ob eine generelle Aufhebung örtlicher Bauvorschriften zur Beschleunigung von Baugenehmigungen führt.
- Finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen verbessern: Langfristige Wohnraumförderung statt befristeter Programme, Investitionen erleichtern.
- Spekulation mit Wohnraum begrenzen: Spekulationssteuer auf Leerstand, schärfere Regulierung von Immobilienfonds.
- Arbeitgeber in die Verantwortung nehmen: Steuerliche Anreize für Werkswohnungen, Beteiligung an Wohnbauprojekten.
- Regionale Lösungen fördern: Stadt-Umland-Kooperationen, Infrastruktur ausbauen, gezielte Förderung für den angespannten Wohnungsmarkt.
Starke Wirtschaft – Rahmen setzen, Innovation zulassen, Erfolg ermöglichen
Sozialdemokratische Wirtschaftspolitik muss Unternehmen stärken, die Verantwortung übernehmen, Innovation fördern und Arbeitsplätze sichern.
- KMUs entlasten: Gerade kleine und mittlere Unternehmen leben soziale Verantwortung – sie brauchen weniger Bürokratie und mehr Freiraum für Innovation.
- Start-ups gezielt fördern: Bessere Kapitalverfügbarkeit und Kooperationen mit Banken, Finanzmärkten und Großunternehmen stärken Gründungen.
- Bildung, Forschung und Wirtschaft vernetzen: Praxisnahe Ausbildung, bessere Förderstrukturen für neue Ideen und tragfähige Geschäftsmodelle. Als Vorbild kann hier die Ludwig-Maximilians-Universität München dienen.
- Energie bezahlbar halten: Übergangsweise reduzierte Strompreise, um Wettbewerbsfähigkeit während der Transformation zu sichern.
Integration und gesellschaftlicher Zusammenhalt: Erwartungen klar formulieren
Sozialer Frieden und Integration gelingen nur, wenn klare Erwartungen formuliert und eingehalten werden.
- Gemeinnützige Arbeit als Selbstverständnis: Eine gesellschaftliche Verpflichtung für alle, die Leistungen erhalten, stärkt den Zusammenhalt.
- Verlässliche Migrationspolitik:
- Menschen mit Bleibeperspektive müssen schnell und gezielt integriert werden – durch Sprachförderung, Qualifizierung und Arbeitsmarktzugang.
Für Ausreisepflichtige braucht es konsequente und zügige Verfahren, die rechtliche Klarheit schaen und eine geordnete Ausreise umsetzen. Ausreisepflichtige sollten nicht in die kommunale Unterbringung vor Ort kommen. - Werte und Lebensweise definieren: Wer Teil unserer Gesellschaft wird, muss sich an demokratische Grundwerte und unser Zusammenleben anpassen. Um eine Anpassung einzufordern, müssen wir unsere Werte klarer definieren und Traditionen selbstbewusst leben.
- Pflichtjahr für alle: Ein Dienst (z. B. bei der Bundeswehr oder im sozialen Bereich) für alle 18-Jährigen stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Bildung und Betreuung: Geteilte Verantwortung leben und notwendige Grundlagen für ein erfolgreiches Bildungssystem legen
- Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Chancengleichheit sind wichtige wirtschaftliche und soziale Aspekte, jedoch muss klar sein, dass der Erziehungsauftrag nicht vollständig an den Staat abgegeben werden kann
- Verlässliche und gute Betreuung müssen im Vordergrund stehen, nicht die Abdeckung einer möglichst langen Zeitspanne. Beides parallel zu erreichen ist auf Dauer nicht finanzierbar, weder für die Eltern, noch für die Kommunen:
- konkret könnten die Verschiebung des Rechtsanspruchs auf Betreuung vom ersten auf das zweite Lebensjahr und eine damit verbundene Reduzierung der notwendigen Fachkräfte pro Gruppe helfen; ebenso eine grundsätzliche Reduzierung der regulären Ganztagsbetreuung von 10 auf 7 Stunden täglich; für mehr Gleichberechtigung in der Betreuung könnte die paritätische Ausbezahlung des Elterngelds sorgen
- Bund muss wichtiger Akteur der deutschen Bildungspolitik werden (z. B. durch Abschaung des Kooperationsverbots)
Schulgebäude müssen eine moderne Lernumgebung bieten
Europa als Schutzraum für Demokratie und Sicherheit
Ein starkes Europa schützt seine Bürgerinnen und Bürger, stärkt die Wirtschaft und sichert Frieden und Stabilität.
- Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Europa muss geopolitisch handlungsfähig sein und seine Interessen weltweit vertreten können.
- Regulierung sollte nur dort bestehen, wo sie wirklich notwendig ist – und wo sie nicht notwendig ist, muss ihr Abbau ebenso zwingend erfolgen.
- Kein übererfüllen von EU-Stands im deutschen Recht
Eine Sozialdemokratie, die den Alltag gestaltet
Dies waren nur einige Punkte. Es gibt noch viele mehr. Sozialdemokratische Politik muss lösungsorientiert und nah an den Menschen sein. Sie muss Politik für die Mehrheit der Menschen machen. Die Zukunft der SPD entscheidet sich nicht in Theoriedebatten, sondern in den Städten und Gemeinden, in denen die konkreten Herausforderungen des Alltags bewältigt werden.
Wir Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind überzeugt: Eine starke Sozialdemokratie entsteht von unten – aus der Praxis, aus dem direkten Austausch mit den Menschen. Die sozialdemokratische Zukunft muss gemeinsam gestaltet werden – mit Mut, Entschlossenheit und dem Willen, das Land voranzubringen.
Wir sind uns sicher, dass sich mit einem ehrlichen Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit, einer oenen Kommunikation von notwendigen Zumutungen und den genannten politischen Ansätzen mehr Gemeinsinn und ein Aufbruch für ein Deutschland, das sich in einer veränderten Welt behauptet, erzeugen lassen.
Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:
- Jan Hambach, Bürgermeister Stadt Freiberg am Neckar
- Florian Kling, Oberbürgermeister Stadt Calw
- Andrea Schwarz, Bürgermeisterin für Planen, Bauen, Liegenschaften Stadt Ludwigsburg
- Michael Wolf, Bürgermeister für Bauen Stadt Bietigheim-Bissingen
- Benedikt Paulowitsch, Bürgermeister Gemeinde Kernen im Remstal
- Jens Hübner, Bürgermeister Stadt Markgröningen
- Klaus Eckert, Bürgermeister Gemeinde Durmersheim
- Helge Viehweg, Bürgermeister Gemeinde Straubenhardt
- Bernd Bordon, Bürgermeister Gemeinde Ilsfeld
- Selcuk Gök, Bürgermeister Stadt Tengen
- Pascal Wasow, Bürgermeister Gemeinde Epfenbach
- Jonathan Makurath, Bezirksvorsteher Stuttgart-Süd
- Colyn Heinze, Bezirksvorsteher Stuttgart-Degerloch
- Timo Jung, stv. Vorsitzender der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) BW
- Michael Schlichenmaier, Beisitzer im Landesvorstand der SGK BW