Flächendeckende Polizeipräsenz verhinderte größere Schäden – trotzdem gab es Verletzte, Sachschäden und Straftaten im 2stelligen Bereich Besonnenes Konzept von Stadt und Polizei wurde leider nicht überall verstanden
Backnang/Waiblingen.| Einsatzkosten von über 140.000 Euro, mindestens 23 Straftaten und drei verletzte Personen sind die erste Bilanz der Backnanger Facebook-Party. Erschreckend ist, dass bereits eine Folgeveranstaltung im Plattenwald Ende Juli beworben wird. Die Polizei kündigt für diesen Fall eine härtere Gangart an. Die Ermittlungen zu den Initiatoren der Facebook-Party dauern indes noch an.
Die Polizei zählt bis heute 23 bekannt gewordene Straftaten: Insbesondere sind dies Körperverletzungen, viele Sachbeschädigungen, Aufforderungen zu Straftaten, Abbrennen von Pyrotechnik, ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und ein Diebstahl. Wie bereits gemeldet wurden insgesamt 3 Personen verletzt.
Auch die Kosten für den Einsatz können nun grob beziffert werden. Demzufolge sind allein bei der Polizei des Landes und des Bundes Personal- und Sachkosten in Höhe von ungefähr 120.000 Euro angefallen. Darüber hinaus kostete der Einsatz für die Stadt, die Sicherheits- und Ordnungsbehörden, wie Freiwillige Feuerwehr, Deutsches Rotes Kreuz, Technisches Hilfswerk, DLRG, private Sicherheitsdienste, der städtische Bauhof und das Ordnungsamt rund 20.000 Euro. Die Sachschäden und Behandlungskosten der Verletzten summieren sich auf mehrere tausend Euro.
Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass trotz des Verbots der Stadt Backnang rund tausend Besucher gekommen waren, zum Teil außerhalb Backnangs, so etwa den benachbarten Landkreis, aber auch aus Ulm, Freiburg, Karlsruhe, Regensburg und Balingen. Die Teilnehmer waren schwerpunktmäßig zwischen 16 und 24 Jahre alt. Laut Erkenntnissen der Stadt Backnang standen Ankündigungen im Netz, wie etwa „Backnang wird zerlegt“.
Mit Verärgerung hat die Polizei bei der Sichtung der entsprechenden Facebookseite feststellen müssen, dass mehrere Einträge bewusst falsch eingestellt wurden, um gezielt gegen die Polizei Stimmung zu machen. So wurde beispielsweise am Samstagmittag gepostet, dass Wasserwerfer unterwegs seien. Außerdem wurde berichtet, dass die Wiese im Plattenwald voll mit Menschen sei, dies wurde durch ein gefälschtes Foto untermauert. Im weiteren Verlauf wurde auf Facebook von Schlagstockeinsätzen und Übergriffen der Polizei berichtet. Auch dies entsprach nicht der Wahrheit. Hierauf reagierte die Polizei unverzüglich in Facebook mit Gegendarstellungen.
Nachdem sich Einsatzbeamte der Bundespolizei bereits am Freitag zur Übernachtung in einer Sporthalle eingefunden hatten, wurde auf Facebook die provokante Frage formuliert, was wäre, wenn die Sporthalle brennen würde. Vor einem Discounter wurde die Menge aufgerufen, diesen „auseinander zu nehmen“. Polizeikräfte konnten die Lage beruhigen. Das hohe Gewaltpotential der Facebook-Gemeinde zeigte sich auch in den Flaschenwürfen, dem Anzünden von gefährlicher Pyrotechnik mitten in der Menschenmenge und den vielen Sachbeschädigungen, die überwiegend im Wohngebiet Plattenwald, aber auch an Polizeifahrzeugen, begangen wurden. So sind an einer größeren Zahl von Fahrzeugen Seitenspiegel, Antennen und Scheibenwischer beschädigt oder zerstört worden. An einem Streifenwagen wurde die Seitenscheibe eingeworfen.
Zudem waren auf dem Weg der Partyteilnehmer erhebliche Vermüllungen festzustellen. Mitarbeiter des städtischen Bauhofes beobachteten, dass auf dem Weg zum Plattenwald auf Baustellen Steine gesammelt wurden, die offenbar als Wurfgeschosse dienen sollten. Die Backnanger Stadtverwaltung erhielt eine Vielzahl von Erklärungen ihrer Bürger die sich in ihrer körperlichen Unversehrtheit bedroht fühlten.
Der Leiter der Polizeidirektion Waiblingen, Ralf Michelfelder, der vor Ort war, zeigte sich perplex über das unreflektierte Massenverhalten, ausgelöst durch wenige Anheizer. In der Anonymität der Masse seien auf breiter Basis hemmungslos rechtliche, moralische und ethische Grenzen überschritten worden. Die polizeiliche Durchsage, dass durch Flaschenwürfe aus der Menge eine junge Frau schwer verletzt wurde, wurden mit höhnischem Spott und „Halt die Fresse“ Parolen quittiert. Der Rettungsdienst hatte Mühe zu der Verletzten durchzudringen.
Die Polizei hatte von Anfang an auf ein defensives und deeskalierendes, an der Vernunft der Teilnehmer ausgerichtetes Einsatzkonzept gesetzt. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung rief sie dazu auf, nicht an der verbotenen Party teilzunehmen. Anti-Konflikt-Teams am Bahnhof, in der Stadt und am Plattenwald appellierten an die zumeist jugendlichen Personen ihr Vorhaben abzubrechen. Weiterhin nutzte sie auch das Facebook für Hinweise, um auf das Verhalten der Personen positiv einzuwirken. So wurde unter anderem auf das drohende Unwetter, S-Bahnverbindungen und zuletzt auf die gesperrte Bahnstrecke aufgrund des Unwetters hingewiesen.
Leider hat diese besonnene Linie bei weitem nicht alle Partygänger erreicht. Aufgeputscht durch massiven Alkoholkonsum und angefeuert von „Einheizern“ war die Mehrzahl am Plattenwald Angekommenen mit Appellen an die Vernunft nicht mehr zu erreichen. Dennoch behielt die Polizei ihre defensive Linie bei und schritt nur bei massiven Rechtsverstößen oder für die Partygänger gefährlichen Situationen selektiv ein. „Behauptungen, wir seien für Gewaltausbrüche verantwortlich“, weisen wir mit Entschiedenheit zurück. Das Gegenteil ist der Fall. Wir hätten allen Grund gehabt konsequenter und frühzeitiger einzuschreiten, haben dies aber aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht getan“, so Michelfelder. Es sei ferner weltfremd zu glauben, dass bei einem unkoordinierten Ablauf der Party nichts passiert wäre: „Die an- und volltrunkenen Personen boten keine Gewähr für ein friedliches Happening,“
Angesichts dieser enttäuschenden Erfahrungen kündigte er für eine etwaige Folgeveranstaltung in Backnang eine der Lage angepassten Gangart an: „Trotzdem bleiben wir flexibel. Letztendlich wird dies eine Bewertung am Einzelfall sein. Aber die traurige Bilanz dieses Marsches durch die Innenstadt wird unser zukünftig konsequenteres Handeln bestimmen“.
Angenehm berührt ist die Polizeidirektion Waiblingen über die positive Resonanz, die sie für den Einsatz von weiten Teilen der Bevölkerung über Zuschriften, Leserbriefe und Online-Kommentare erfahren hat. Auch auf der Partyseite in Facebook gab es viele kritische Stimmen zum Verhalten der Facebooker in Backnang. Mittlerweile hat dieses Verhalten sogar eine Gegenbewegung ausgelöst, die sich eindeutig distanziert und versucht, auf andere Facebook-User entsprechend einzuwirken.
Die Polizei steht derzeit in Kontakt mit Facebook und anderen Online-Portalen zur Identifizierung der Protagonisten. Es konnten bereits zwei Einsteller identifiziert werden. Gegen erkannte Straftäter laufen Ermittlungsverfahren und die Stadt Backnang wird ebenso Bußgeldverfahren einleiten. Derzeit laufen – auch unter Zuhilfenahme der ins Internet eingestellten Bilder und Videos weitere Identifizierungsmaßnahmen.
Die Stadt Backnang kündigte für mögliche weitere Facebook-Partys ein erneutes Verbot an – zum Schutz der Bürger, der Teilnehmer, sowie von Sachen und nicht zuletzt auch der Natur im Plattenwald. Stadt und Polizei werden alles daran setzen, die Kosten den Verursachern der stattgefunden Party sowie einer im Netz angekündigten weiteren Party aufzuerlegen.