WZ, 04.06.2012.| „Die Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger stellen dem Miteinander von Einheimischen und Zuwanderern ein gutes Zeugnis aus. Allerdings haben sie hohe Erwartungen an die Zuwanderer und an sich selbst. Sie verschließen auch nicht die Augen vor Diskriminierung von Zuwanderern.“ So hat Bilkay Öney, Ministerin für Integration, die Kernaussagen einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage zusammengefasst. Die Daten hatte Infratest dimap für das Ministerium im Februar dieses Jahres erhoben. Die Umfrage ist die landesweit erste umfassende Bestandsaufnahme zur Integration aus Sicht der Aufnahmegesellschaft in Baden-Württemberg.
„Die Landesregierung hat in Sachen Integration Boden gut zu machen“, sagte die Ministerin. Blicken die Baden-Württemberger auf die vergangenen fünf Jahre Landespolitik, so fällt ihr Urteil in Sachen Integration kritischer aus als die Bewertung der Bundespolitik in diesem Bereich: 59 Prozent sind der Meinung, auf Landesebene habe sich bei der Integration von Zuwanderern in diesem Zeitraum „nicht viel verändert“ (Bundespolitik: 52 Prozent). Lediglich 29 Prozent nehmen Verbesserungen wahr (Bundespolitik: 36 Prozent).
Hohe Erwartungen an die Zuwanderer
Über zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) sagen, dass sie überwiegend gute Erfahrungen mit Zuwanderern gemacht haben, jeder Zehnte spricht von sehr guten Erfahrungen. 28 Prozent der Befragten sehen in der Zuwanderung eine gesellschaftliche Bereicherung, 26 Prozent heben Eigenschaften der Zuwanderer positiv hervor. Die wirtschaftliche Leistung der Zuwanderer wird hingegen deutlich seltener genannt (5 Prozent). Drei negative Verhaltensmuster werden von den Befragten relativ häufig angegeben: 18 Prozent stört es, wenn Zuwanderer „kein Deutsch lernen“, 15 Prozent, wenn sie „sich nicht integrieren wollen“ und 12 Prozent, wenn Zuwanderer „häufig unter sich bleiben“ bzw. „in Gruppen auftreten“.
Die Mehrheit der Baden-Württemberger (52 Prozent) sieht die Verantwortung für gelingende Integration bei den Zuwanderern selbst. 19 Prozent sehen den Staat in der Pflicht, 8 Prozent sind der Meinung, dies sei vor allem Aufgabe der Einheimischen. Auf die Frage, ob die genannten Akteure genug für die Integration tun, ist eine klare Rangfolge feststellbar: 70 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass die Zuwanderer nicht genug für die Integration tun, 61 Prozent sehen Defizite bei den Einheimischen und 30 Prozent bei der Politik. „Aus diesem Ergebnis folgere ich: Es muss uns gelingen, zum einen die Integrationsmotivation der Zuwanderer zu erhöhen und zum anderen die Mehrheitsgesellschaft noch stärker bei diesem Thema mitzunehmen“, so Öney.
Hohe Erwartungen an sich selbst
Die Baden-Württemberger sehen sich selbst in der Pflicht, mehr zur Integration von Zuwanderern beizutragen. Jeweils 92 Prozent meinen, dass man gerade Zugewanderten „Tipps zum Einleben in der neuen Umgebung geben“ oder „ihnen Hilfe bei konkreten Problemen, zum Beispiel mit Ämtern und Behörden, anbieten“ sollte. Fragt man danach, inwieweit die Bürgerinnen und Bürger in den vergangenen zwölf Monaten selbst aktiv waren, ergibt sich ein modifiziertes Bild: Tipps zum Einleben in der neuen Umgebung wurden lediglich von einem Drittel gegeben (35 Prozent). Hilfen bei konkreten Problemen leisteten 31 Prozent. Ministerin Öney: „Es muss uns gelingen, Anspruch und Wirklichkeit noch besser in Einklang zu bringen. Die Bevölkerung ist bereit, mehr für die Integration zu tun. Wir müssen sie ermuntern und unterstützen, dies auch umzusetzen.“
Die Baden-Württemberger schätzen die kulturelle Vielfalt im Land. Auf die Frage, ob sie lieber in einem Land mit nur einer Kultur und Lebensweise oder in einem Land mit vielen Kulturen und Lebensweisen leben möchten, ist das Ergebnis eindeutig: 80 Prozent präferieren die kulturelle Vielfalt, 15 Prozent eine einheitliche Kultur und Lebensweise. Lediglich ein Drittel (33 Prozent) der Baden-Württemberger stimmt der Meinung zu, dass Zuwanderer ihre kulturelle und religiöse Lebensweise ganz oder teilweise aufgeben sollten. Damit zeigen sich die Baden-Württemberger toleranter als der Bundesschnitt (41 Prozent).
„Für die Bevölkerung endet Toleranz da, wo das Recht gebrochen und in persönliche Freiheitsrechte eingegriffen wird“, so die Ministerin. 96 Prozent stört es, wenn aus kulturellen Gründen Gewalt angewandt wird. 87 Prozent lehnen es ab, wenn Eltern darüber entscheiden, wen die eigenen Kinder heiraten. Darüber hinaus stört es die Mehrheit der Befragten (62 Prozent), wenn „Zuwanderer vor allem unter sich bleiben“. Das Tragen von Kopftüchern und der Bau von Moscheen wird jeweils von rund einem Drittel abgelehnt.
Ungleiche Chancen für Zuwanderer
„Erstaunlich finde ich die selbstkritische Betrachtung der Mehrheitsbevölkerung beim Thema Benachteiligung von Zuwanderern“, sagte Öney. Die Bürgerinnen und Bürger gehen nicht davon aus, dass Zuwanderer in allen gesellschaftlichen Bereichen die gleichen Chancen wie Einheimische haben. 61 Prozent sind der Meinung, dass Zuwanderer „bei der Suche nach einer Wohnung“ benachteiligt werden. Knapp die Hälfte (48 Prozent) ist der Ansicht, dass Zuwanderer nicht die „gleichen Chancen auf der Suche nach einem Arbeits- und Ausbildungsplatz“ besitzen. „Die Ergebnisse zeigen, dass wir im Bereich Antidiskriminierung noch aktiver und entschlossener handeln müssen“, so die Ministerin.
Fragt man nach der Bedeutung unterschiedlicher Integrationsmaßnahmen, so ist die Sprachförderung nahezu unumstritten. 96 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten die Verbesserung der Sprachförderung für wichtig. 92 Prozent der Befragten meinen, die Politik sollte mehr gegen kriminelle Zuwanderer tun. Es folgen die Verbesserung von Bildungschancen (91 Prozent) und die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern (89 Prozent). Befragte mit Migrationshintergrund halten insgesamt die vorgeschlagenen Maßnahmen für wichtiger als Befragte ohne Migrationshintergrund. Dies betrifft vor allem die Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse, Maßnahmen gegen Diskriminierung und die Öffnung des öffentlichen Dienstes für Zuwanderer.
„Die hohe Zustimmung für die in der Studie genannten Integrationsmaßnahmen ist eine Bestätigung unserer Politik“, so Öney. Integration gelinge nur dann, wenn für alle Menschen Chancengerechtigkeit und Teilhabe gelte. „Daran knüpfen wir an: Das Ministerium für Integration setzt sich für Sprachförderung und Elternbegleitung im Umfeld von Kindergarten und Schule ein, wir wollen anonymisierte Bewerbungen erproben und schreiben ein Landesanerkennungsgesetz für ausländische Berufsqualifikationen. Wir reden mit Muslimen auf Augenhöhe, fördern die interkulturelle Kompetenz in der Verwaltung und werben für mehr Zuwanderer im öffentlichen Dienst.“
Informationen zur Befragung
Die telefonische Befragung fand im Zeitraum vom 30. Januar bis 4. März 2012 unter 3.001 Wahlberechtigten in Baden-Württemberg statt. Zu Vergleichszwecken erfolgte parallel zur Umfrage im Land eine identische Übernahme einiger wichtiger Fragen in den bundesweiten PolitikBus von Infratest dimap (1.000 Befragte am 14./15. Februar 2012). Damit können für zentrale Fragen auch direkte Vergleiche zwischen Baden-Württemberg und dem Bund vorgenommen werden.