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Galerie Stadt Sindelfingen zeigt Einzelausstellung von Hicham Berrada

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Hicham Berrada – Aléas

Sindelfingen.| Die Galerie Stadt Sindelfingen zeigt mit Aléas vom 29. September 2024 bis zum 16. Februar 2025 die erste institutionelle Einzelausstellung Hicham Berrada in Deutschland. Die Ausstellung gibt anhand von neu entstandenen Werken und Arbeiten aus den vergangenen Jahren einen Überblick über das Schaffen des 1986 geborenen marokkanischen Künstlers.

Hicham Berradas Installationen, Skulpturen, Videoarbeiten und Performances beruhen auf naturwissenschaftlichen Methoden, die er nutzt, um die Wirkkräfte von ökologischen Prozessen und der Elemente zu aktivieren. Er malt keine Landschaften oder poetische Universen, sondern lässt sie mit Hilfe chemischer Stoffe und physikalischer Reaktionen in prozesshaften, sich dynamisch in Zeit und Raum entwickelnden Werken entstehen. Aléas bedeutet Zufälle und die Arbeiten der Ausstellung machen die Zufallsschwankungen der Natur sichtbar, indem sie ihre ästhetischen Potentiale aktivieren.

Im Zentrum des ersten Raumes geht ein intensives Licht von einem dunklen Glasterrarium aus. Die neu entstandene Installation Chambre climatique (2024) enthält einen vernebelten Garten mit Pflanzen und Mineralien. In seiner Mitte türmt sich ein undefinierbares Wesen auf, das tierische und pflanzliche Attribute vereint. Umgeben ist es von weiteren Kreaturen, welche sich bei genauer Betrachtung als Skulpturen entpuppen, die aus PLA (Polymilchsäure) bestehen. Sie sind Teil eines vom Künstler initiierten Kreislaufs, der die Zersetzung des PLAs auslöst. Die vom Menschen geschaffenen Stoffe werden in organische Masse umgewandelt, die weiter zerfällt und in mineralische Nährstoffe zersetzt wird. Schließlich treten diese Nährstoffe wieder in das Mineralreich ein und erfüllen so ihren ursprünglichen, naturgegebenen Zweck.

Die beiden Videoarbeiten Les oiseaux (2014) und Celeste (2014) sind in der Villa Medici in Rom entstanden und zeigen malerische Eingriffe in die Natur. In Les oiseaux ist der Piazzale zu sehen. Die Kamera ist auf einen 20 KW-Lichtstrahl gerichtet, der den Himmel strahlend hell erleuchtet. Der Nachthimmel wird zur Leinwand, auf der sich Möwen in Kreisen um die Lichtquelle bewegen. Die Vögel werden von dem Lichtstrahl angezogen, sodass sie zu künstlerischen Akteuren werden.

Celeste ist ein Gemälde, das sich nicht auf einer Leinwand manifestiert, sondern als vergängliches, immaterielles Bild. Die statische Kamera zeigt den Blick aus einem Fenster in den Garten der Villa Medici. Blaue Nebelschwaden steigen auf, die sich wie eine Wolke am Himmel ausbreiten. Der Künstler hat ein Rauchgerät entwickelt, mit dessen Hilfe er die gewünschte Farbe, Dichte und Ausbreitung des Rauchs bis zu einem gewissen Grad bestimmen kann. Schlussendlich spielen aber auch die unbeeinflussbaren Wetterverhältnisse wie die Windstärke und -strömungen eine nicht zu vernachlässigende Rolle, sodass das Endergebnis den Wirkmächten des Zufalls überlassen ist.

Für die Serie Cartes mères (2021 – fortlaufend) taucht Hicham Berrada die Hauptplatinen von Computern in elektrolytische Bäder, sodass die Metalle, aus denen sie bestehen, in hoher Geschwindigkeit miteinander reagieren und sich in kleinen Aquarien zu surrealistisch wirkenden mineralischen Landschaften formen. Der Künstler aktiviert und moduliert nur einige wenige Parameter, um die intrinsischen Eigenschaften der Metalle und ihre Fähigkeit zu nutzen, sich selbst zu organisieren. Er visualisiert so die physikalischen und chemischen Eigenschaften von Materie und macht sie für den Betrachter begreifbar.

In den Videoarbeiten der Permutations (2023) sind hingegen elektronische Leiterplatten in elektrolytische Lösungen getaucht. Erneut wird eine Metamorphose initiiert, die die Zersetzung der Leiterplatten in Gang setzt und sie allmählich in nebligen Dämpfen auflöst. Die Zersetzungen machen einen kontinuierlichen Energiefluss sichtbar, der die Zyklen der Natur sowie die Unvorhersehbarkeit und das Veränderungspotenzial der Welt darstellt.

Im oktogonalen Anbau der Galerie ist in einer immersiven 360°-Videoinstallation eine Arbeit aus Berradas Werkserie Presage (2021 – fortlaufend) zu sehen. Auch diese Arbeiten entstehen durch gelenkte Eingriffe des Künstlers, der Mineralien in eine wässrige Lösung gibt und sie chemisch aktiviert. Die resultierenden Reaktionen formen komplexe, farbenprächtige, sich kontinuierlich verändernde Unterwasserwelten. Durch das Orchestrieren der verschiedenen Komponenten macht Hicham Berrada ein weiteres Mal jene Prozesse für das menschliche Auge sichtbar, die es normalerweise nicht wahrnehmen kann: die Bewegung der Mineralien im Verlauf der Zeit.

Die neu geschaffene Werkgruppe der Keromancies (2024) nimmt eine alte Form der Wahrsagerei als Ausgangspunkt, für die geschmolzenes Wachs in kaltes Wasser gegossen wird, um mit Hilfe der resultierenden Formen Zukünftiges zu prophezeien. Indem Hicham Berrada die Wachse klar definierten Bedingungen aussetzt, kann er die Entstehung der Formen steuern und die Zukunft metaphorisch beeinflussen. Er nutzt Fotogrammmetrie, um 3D-Scans von ihnen zu erstellen, und sie im Anschluss mittels eines Algorithmus der bilateralen Symmetrie auszusetzen – jenem biologischen Formprinzip, dass für das Erscheinungsbild des Menschen sowie fast aller Tiere und Pflanzen verantwortlich ist. Durch die Zufälligkeit einer simulierten Evolution treten sie einem als nahezu lebensgroße 3D gedruckte Wandskulpturen entgegen, die wie futuristische oder extraterrestrische Lebensformen aussehen.

Hicham Berrada ist 1986 in Casablanca, Marokko, geboren. Er lebt und arbeitet in Roubaix, Frankreich. Seine Werke wurden in Gruppen und Einzelausstellungen u.a. im Louvre, Lens, Punta della Dogana, Museum der Pinault Collection, Venedig, Gropius Bau, Berlin, Centre Pompidou, Paris, Palais de Tokyo, Paris, Abtei Notre-Dame-La-Royale de Maubuisson, Schloss Versailles (Garten), Paris, ZKM, Karlsruhe, Frankfurter Kunstverein, MoMA PS1, New York und Moderna Museet, Stockholm sowie bei der Taipeh Biennale, Taiwan (2020) und der Lyon Biennale (2017) gezeigt. Werke des Künstlers befinden sich u.a. in den öffentlichen und privaten Sammlungen von: Futurium, Berlin, Mercedes Benz Art Collection, Stuttgart, Sammlung Pinault, Paris / Venedig, Sammlung Philara, Düsseldorf.


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